Skulpturen und Reliefs im Magdeburger Dom - Teil 1

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Der Magdeburger Dom enthält Kunstwerke aus mehreren Stilepochen, von der Romanik bis zur Neuzeit. Schauen Sie sich einige Beispiele an!

Romanik:

Die Bronzegrabplatte des Erzbischofs Friedrich von Wettin

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Detail der Grabplatte: Dornauszieher
Diese von der berühmten Magdeburger Gießhütte angefertigte (liegende) Grabplatte stammt aus romanischer Zeit (der Erzbischof starb 1152) und wurde vom Vorgängerbau des ottonischen Domes in den Neubau übernommen. Die Gestalt des Erzbischofs erhebt sich wölbend über die flache Grabplatte, sein Kopf ist vollplastisch herausgearbeitet. Der Erzbischof trägt die Insignien seiner Macht, streng und archaisch sind seine Gesichtszüge dargestellt. Hier tritt uns nicht eine individuelle Person gegenüber, sondern ein Abbild von Macht und Strenge.
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Rom: Dornauszieher
Über den Erzbischof ist wenig bekannt. Er soll am Kreuzzug gegen die Slawen östlich der Elbe teilgenommen haben, vielleicht bezieht sich das kleine Detail zu seinen Füßen ja darauf: Die Spitze des Bischofsstabes steht auf dem Kopf der kleinen Figur des Dornausziehers. Der Dornauszieher ist ein Motiv der "heidnischen" antiken Kunst: ein Junge versucht sich einen Dorn aus dem Fuß zu ziehen. (Eine berühmte antike Dornauszieher-Skulptur befindet sich in den Kapitolinischen Museen in Rom.) Im Mittelalter wurde der Dornauszieher als ein vom rechten Wege abgekommener Sünder betrachtet, der Dorn als Symbol der Erbsünde gedeutet (Wikipedia). Die Magdeburger Darstellung könnte so als Sieg des Erzbischofs über das Heidentum interpretiert werden.

Grabplatte des Erzbischofs Friedrich von Wettin (1152)
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Spätromanik - Übergang zur Gotik:

Der Hohe Chor

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Chor und Altarbereich, im Vordergrund der Sarkophag Ottos I.
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   Mauritius
Der Hohe Chor ist der Bereich des Erzbischofs und der Domherren, hier wurden die feierlichsten Gottesdienste zelebriert. Otto I. hatte einst antike Säulen aus Italien zur Ausschmückung seines Domes kommen lassen, diese kostbaren Spolien aus Granit, Porphyr und Marmor fanden beim Neubau des gotischen Domes wieder ihren Platz im Chorhaupt und stellen so die Verbindung zum einstigen imperialen Machtanspruch her. Oberhalb dieser antiken Säulen befinden sich sechs überlebensgroße Skulpturen, in der Reihenfolge von links nach rechts handelt es sich dabei um Andreas, Paulus, Petrus und Johannes den Täufer sowie um die beiden Ritterheiligen Mauritius und Innocentius. Die Figuren sind sehr unterschiedlich gestaltet, die ersten drei (Andreas, Paulus, Petrus) ähneln stark den Portalfiguren der großen französischen Kathedralen, die vierte (Johannes d. T.), besonders aber die beiden rechten Figuren (Mauritius und Innocentius), weichen stilistisch von den anderen ab. Schon 1899 wurde deshalb die Vermutung geäußert, dass die drei ersten Figuren vielleicht ursprünglich als Teil eines großen Portales vorgesehen waren, welches dann aber nicht ausgeführt wurde. Die Diskussion über das mögliche Aussehen dieses Portals dauert unter Kunstwissenschaftlern bis heute an.

Der Hohe Chor im Magdeburger Dom
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antike Säulen
Andreas, Paulus,    Petrus
Andreas
Paulus
Petrus
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Johannes d. T.       Mauritius
    Mauritius       Innocentius
     Mauritius     Innocentius
     Innocentius

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Gotik:

Mauritius und Katharina

Mauritius war der Legende nach Befehlshaber der Thebäischen Legion (eine römische Armee, die aus Afrikanern bestand und fern der Heimat eingesetzt wurde), deren Mitglieder um 285/290 sämtlich hingerichtet worden sein sollen, da sie sich weigerten, Christen zu verfolgen und dem römischen Kaiser als Gott zu huldigen.
Heute liegt der bekannte Ort St. Maurice in der Nähe der Stelle, wo sich das Martyrium abgespielt haben soll.
Unter den Ottonen erlangte die Verehrung des heiligen Mauritius eine besondere Stellung, Otto I. gründete in Magdeburg das Mauritiuskloster (Moritzkloster) - einen Vorgängerbau des heutigen Domes - und ließ kostbare Reliquien (darunter die "Mauritiuslanze" - die heilige Lanze) hierher kommen.

Hl. Mauritius im Magdeburger Dom
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Mauritius ist der Schutzpatron des Domes. Die im Chorbereich vorhandene Skulptur des Hl. Mauritius gehört mit zu den besten Arbeiten der "Magdeburger Schule" aus der Zeit um 1240-1250. Es ist die älteste erhaltene Darstellung eines Schwarzafrikaners in Europa. Der damalige Künstler muss diesem Menschentypus (vielleicht am Hofe Friedrichs II.) begegnet sein, denn die Physiognomie mit den wulstigen Lippen und der breiten Nase ist außerordentlich realistisch gestaltet. Dabei strahlt die Figur würdevollen Ernst und ruhige Entschlossenheit aus. Tiefe Menschlichkeit spricht aus seinem Antlitz. Großzügig und doch detailreich hat der Künstler auch Gewandung und Rüstung des Ritters dargestellt. Die rechte Hand hielt ursprünglich eine Lanze, die linke hält ein Buch und ruht nahe am Schwert. Leider ist die Figur nur als Torso erhalten.

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Hl. Mauritius

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Katharina von Alexandrien hat der Legende nach ihre Zeitgenossen durch außergewöhnliche Schönheit und Klugheit fasziniert. Die 50 besten Gelehrten des römischen Reiches waren von ihrer Persönlichkeit und Argumentation so beeindruckt, dass sie einmütig zum Cristentum übertraten, obwohl sie doch eigentlich angetreten waren, Katharina zu widerlegen...
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Das ärgerte den römischen Kaiser nun so außerordentlich, dass sowohl bei Katharina als auch bei den 50 Philosophen der Legende nach um das Jahr 307 unverzüglich das Todesurteil vollstreckt wurde.
Mit dem Bau des neuen gotischen Domes erscheint die heilige Katharina neben Mauritius als Schutzpatronin. Die heutige Skuptur im Chorbereich gegenüber Mauritius wird ihr zugeordnet, obwohl ihre typischen Attribute (zerbrochenes Rad) fehlen. Die Bestimmung ist deshalb nicht eindeutig. Die Skulptur der Katharina stammt aus der gleichen Zeit wie die des Mauritius, möglicherweise aus derselben Werkstatt. Der Bildhauer schuf hier eine schöne Frauengestalt, deren kluges und gütiges Antlitz die Menschen seit über 750 Jahren anlächelt. Katharina trägt die Märtyrerkrone, lang fallen ihr Gewand und Umhang und stauen sich auf den Füßen.

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Hl. Katharina

"Die Domgemeinde (und andere - Anm. HB) ehrt Mauritius' Andenken als Offizier im Widerstand, Bekenner und Ausländer in Magdeburg und hält in Katharinas Gedenken die Weisheit und Autonomie der Frau wach." (1)

(1) Giselher Quast, Jürgen Jerratsch,
Der Dom zu Magdeburg, Deutscher Kunstverlag GmbH München Berlin, 2004, S. 67

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Das "Magdeburger Lächeln" - die Verkündigungsgruppe

Ave Maria gratia plena - Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade - mit diesen Worten, die einst auf dem Spruchband des Engels zu lesen waren, begrüßt Gabriel die Jungfrau Maria und lächelt dabei geheimnisvoll ...
  
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Die beiden Figuren sind verschieden groß, doch bei dem Engel muss man sich wahrscheinlich noch große (hölzerne) Flügel dazu denken. Der "Engel wirkt durch schmal aufsteigende Faltenbahnen fast schwerelos und hat sanfte Bewegungen von zartester Empfindung. Das (...) Lachen der klugen Jungfrauen ist bei ihm zum behutsamen Lächeln gemildert. Er und Maria sind nach Vorbildern in Bamberg frei weitergebildet worden. Die Jungfrau ist mit schweren, tiefenräumlichen Gewandbahnen behängt, die ein großzügiger Gestaltungswille formte." (2)

Verkündigungsgruppe
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(2) Hans-Joachim Mrusek,
Magdeburg, VEB E. A. Seemann, Buch- und Kunstverlag, Leipzig, 1966, zweite Auflage, S. 73

Spätgotik:

Der Lettner

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Detail am Lettner
Diese Schranke trennt den Raum der Laienkirche vom Hohen Chor, der ursprünglich nur den Domherren vorbehalten war. Der Lettner im Magdeburger Dom wurde etwa um 1450 geschaffen. Er ist prächtig ausgeschückt, das Maßwerk und die Kielbogenformen sind typisch für die Spätgotik. Zwischen den beiden Lettnertüren befindet sich der Kreuz- oder Blutaltar, so genannt wegen der Darstellung Jesu am Kreuz mit den sein Blut auffangenden Engeln. Vor diesem Altar wurden die Hostien an die Gläubigen verteilt.

Der Lettner im Magdeburger Dom
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Der Lettner ist reich verziert, an der Vorderseite befinden sich links vom Altar Maria Magdalena, Georg, der Drachentöter, und Mauritius, rechts vom Altar Maria mit dem Jesusknaben, der Apostel Jakobus und die hl. Katharina. An den Längsseiten finden wir weitere Figuren: Paulus, Ludolf und Bartholomäus an der Nordseite, Dorothea, Nikolaus und Petrus an der Südseite. Die Lesekanzel über dem Altar zieren Stephanus und Laurentius (3).

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   Paulus
Maria Magdalena
   Georg
   Mauritius
   Maria
   Katharina
   Petrus

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Renaissance:

Die Kanzel

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Christoph Kapup schuf 1595/97 die Kanzel aus Alabaster, die mit ihren großartigen Skulpturen und Bildern zu den herausragenden Arbeiten ihrer Zeit gehört.
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Es ist der Apostel Paulus, der, auf sein Schwert gestützt, den Kanzelkorb trägt. Die Schwertklinge soll - der Legende nach - von einem Kreuzzug stammen...

Die hinaufführende Treppe ist mit Reliefs aus der Genesis-Geschichte des Alten Testaments geschmückt. Die drei Relieffelder "Schöpfung", "Sündenfall" und "Sintflut" sind Meisterwerke, insbesondere in den Detaildarstellungen.
Die Schöpfung:
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Der Sündenfall:
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Die Sintflut:
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Seit 1567 finden im Dom evangelische Gottesdienste statt. Der reformatorische Gedanke findet in der zentralen Figur des Jesus Christus als Welterlöser (Salvatore mundi) seinen konkreten Ausdruck. Ihm an der Brüstung zur Seite stehen Johannes der Täufer, die beiden Schutzheiligen des Domes, Mauritius und Katharina, sowie die vier Evangelisten:

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Szenen aus dem Leben Christus werden in den kleinen Reliefs am Kanzelkorb und der Tür der Kanzeltreppe dargestellt:
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Der Schalldeckel zeigt christliche Tugenden (Glaube, Liebe, Hoffnung, Selbsterkenntnis, Tatkraft und Mäßigung) und wird mit dem Mauritiusadler (siehe auch die Schilddarstellung des Hl. Mauritius) krönend abgeschlossen. (3)

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Neuzeit:

Das Magdeburger Mal von Ernst Barlach

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In einer Konche des nördlichen Querhausarmes befindet sich das 1929 für genau diesen Standort aus Eichenholz geschaffene Mal von Ernst Barlach. Es wurde während der Nazizeit entfernt, überstand jedoch nahezu unbeschadet und steht seit 1955 wieder an seinem ursprünglichen Platz im Magdeburger Dom.
Dargestellt sind sechs eng um ein Kreuz mit den Jahreszahlen des 1. Weltkrieges gedrängte Figuren: stehend in der oberen Reihe links der alte und bittere Landsturmmann, in der Mitte der um die Schrecken des Krieges wissende hochaufgerichtete Krieger und rechts der sich in seinen Mantel hüllende und stumpf dreinblickende junge Soldat, selbst fast noch ein Kind.
Zu ihren Füßen Trauer, Tod, Entsetzen: verhülltes Sterben, der Tod in Form des bereits zum Skelett gewordenen Soldaten und der entsetzliche Wahnsinn des im Gaskrieg Verwundeten.

Magdeburger Mal von Ernst Barlach
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Barlach hat sich mehrfach über sein - wie er selbst sagt - größtes und verantwortungvollstes Werk geäußert. Er schreibt:

Über das Magdeburger Mal
Sie wünschen von mir einige Daten, deren Niederschrift mich im Umsehen in eine Auslegung der Darstellung meiner Absichten bei Herstellung der Arbeiten verwickelte, eine Darlegung, die ich am Ende entschlossen verwarf, indem ich mich in meiner Lage als Autor bloßgestellt fühle, wenn ich mit andern als künstlerischen Mitteln eine Beeinflussung der Meinungen versuchen wollte. Mein Teil ist getan. Was ich zu sagen hatte, ist von mir nicht anders zu leisten. Die meiner Aufgabe gebührenden Aufwendungen an Kraft und Hingebung sind bis zur äußersten Möglichkeit getan. Alles, was ich noch dazutun könnte, wird schwächer ausfallen, als ich im Werk vermochte. Dazu kommt, ich spreche für mich, wenn ich in Worten verdeutlichen wollte, was ich in plastischer Form zu sagen mich gedrungen fühlte.
Mein größtes und – wie ich hinzufügen muß – verantwortungsvollstes Holzbildwerk ist aus einer realistischen Bildvorstellung erwachsen. Im Dom gilt nicht die Rede des Alltags, das Wunder des Bogens schließt aus seinem Bereich das Wirkliche aus und fordert das Gleichnis. Die Wirklichkeitsgestalten meines Totenmals ordnen sich zum Einklang mit dem überwölbenden Bogen und bekennen sich als Individuen zu Gliedern einer übergeordneten Wirklichkeit, dienen bei allem Bleiben im Persönlichen einem Begriff des Gestaltseins über den menschlichen Bereich hinaus. Ihr Gewesenes ist durch Fugung und Linienführung zu einem Gewordenen eingegangen, sie nehmen an einem Ganzen teil, das durch sie ein verklärtes Leben empfängt, – nicht ohne ihnen wieder davon mitzuteilen. Die Erschütterung der Todgeweihten durch Leiden brachte ihnen nicht den Zusammenbruch, sondern ließ sie in eine höhere Sphäre hinaufgelangen, wo kein Sinnloses mehr schreckt, keine bittere Notwendigkeit immanentes Vertrauen begräbt. Zwar das Kreuz, das große Grabkreuz des Massentodes, ist schicksalhaft zwischen sie gestellt, zwar eint sie ein furchtbares Verhängnis, aber sie sind der schwersten Mahnung gewachsen.
Ernst Barlach: Schriften in eigener Sache
Textquelle: Gutenberg-Projekt
http://gutenberg.spiegel.de/buch/4790/5

Fragmente von weitläufigen Auslassungen
Wer Ohren hat zu hören, riskiert, wenn er den Gebrauch seiner Augen zu gleicher Zeit vernachlässigt, daß ihm etwas eingeredet wird über Dinge, die zu erfassen es zunächst und vor allem der Augen bedarf. Allzuviele wissen nicht, daß, oft wissentlich-gewissenhaft aus der Stille verschieden gearteter Gemütslagen heraus gesehen, die Dinge lebendig werden in der Seele, die sich ihres sehenden Organs bedient, geklärt, – kurz in den eigenen Besitz überführt und nach eigenem Maße gemessen und ergriffen werden. Wenn das, was man allgemein von einer Sache sagt, den Vielen genügt, so wird ihnen ein fremder Besitz aufgedrängt, ein Wert ohne Verlaß und Dauer. Wer möchte aber darauf verzichten, selbst zu wissen, was er in sich bergen und zum Teil seines Ich machen möchte?
Um von meinem Ehrenmal im Dom zu Magdeburg zu sprechen, so war im voraus ein Wort gegen das Wortemachen wohl angebracht. Ich begebe mich somit freiwillig des Anspruchs, mehr zu erstreben, als den Leser zu eigener Urteilsfindung anzuregen und sich für seinen Teil der eifernden Freudigkeit fremder Beeinflussung zu entziehen ...
Wenn ich selbst etwas über das Ehrenmal in Magdeburg beibringe, nehme ich gern den Vorwurf der Nüchternheit hin, sogar unwirksamer Kargheit, die mir in eigener Sache geboten scheint. Es sieht so aus, als ob die äußere Gelassenheit der Gestaltung erkältend wirke, als ob die architektonische Anordnung, eine Rücksicht auf den Standort, ja seine sakrale Haltung, verwirre, als ob das dreiteilige Aufstreben, gegliedert durch die Querbänder einmal der Hände, dann der Kopflinie der unteren Halbfiguren, nicht als Ausdruck unlösbarer Zusammengehörigkeit, als Bändigung von zwei Gegensätzen zur Einheit verstanden werde, – daß Verhängnis und Untergang und, ihnen widerstrebend, das Mahnbild unerschütterter Schicksalsgemeinschaft gewissermaßen als unzulässige Mischung von nicht gleichwertigen Verkörperungen verschiedener innerer Zustände ungern hingenommen würden, – daß die dramatische Spannung plastischen Ausdruck erhalten und also nicht einer Empfänglichkeit genügt, deren unplastischer Aufnahmebereitschaft naturalistisch vortragiert werden muß, dieser Umstand verschlechtert die Aussichten auf Duldung meines Ehrenmals. Denn es ist Spannung und nur äußere Gelassenheit aus architektonischer Notwendigkeit in der Darstellung. Auf einem Gräberfeld erheben sich drei Krieger, das ragende Grabkreuz der vor ihnen Hingesunkenen umringend in der Haltung solcher, die sich behaupten werden. In der Mitte, hochaufgereckt, obwohl am Kopf verwundet, heroisch dem Tod ins Auge blickend, der junge Führer, rechts von ihm, schon tiefer im Bereich des Todes fußend, der ältere Landsturmmann, links von ihm der noch knabenhafte Neuling in dieser Welt der Ungeheuerlichkeit, trotz seiner Zagheit und Unerfahrenheit der Erprobung gewachsen; der Sturm des Kampfes hat die Gestalt des schon skelettierten Soldaten, den Stahlhelm auf dem im Fleisch verfallenen Kopfe, halben Leibes emporgeworfen, und ihn flankieren zwei durch alle Stadien des Schreckens gezwungene, kaum noch dem Leben angehörige Genossen der noch Aufrechten. Wollte man das Ganze symbolisch unterbauen, so müßte man sagen: hier ist auf Not, Tod und Verzweiflung als Gradmesser der wahren Bedeutung unverhohlener Opferbereitschaft hingewiesen. Sie beweisen den Wert der Selbstentäußerung jener Andern.
Ich lehne es ab, darüber zu streiten, ob solche Darstellungen Bestandteile eines Ehrenmals sein dürfen. Ich benötigte sie zur Ganzwerdung eines aller Beschönigung unzugänglichen Geschehens. Die Fürsprecher einer solchen Beschönigung wünschen Gefallen an ihrem Mal zu finden, es soll gefällig sein und freundlich ansprechen; aber erst indem das Gebrochene durch das Ungebrochene überwunden ist, die eine Wirklichkeit sich mit der andern gekreuzt hat, das Vollendete dem Bruchstück übergeordnet worden, ist ein Ganzes geschaffen. Alles Vereinzelte, möge es gefällig oder grausig erscheinen, wäre Fälschung an der Wahrheit.
Den Andern nun, die meine Bändigung der Spannung durch das, was sie vielleicht Starrheit und lebloses vertikales Nebeneinander nennen, unbefriedigt läßt, sei gesagt, daß sie nicht weit genug denken. Die Würde des sakralen Raums besteht auf dem Zwang zum Gleichmaß. Die unleugbare Unbewegtheit der Fassung des Mals wurzelt in der Selbstbezwingung des Künstlers, in der Nötigung zu Übersichtlichkeit und Ruhe, die in Jahrhunderten gewachsen sein muß. Das Gedächtnismal sollte nicht nur einer Generation genügen. Den Stolz dieses Selbstvertrauens mag man mir vorwerfen, kann ihn aber nicht beugen.
Ernst Barlach: Schriften in eigener Sache
Textquelle: Gutenberg-Projekt
http://gutenberg.spiegel.de/buch/4790/6


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Lebensbaumkruzifix in der Tonsurkapelle

Das Lebensbaumkruzifix mit dem sterbenden Christus wurde 1986/88 von Jürgen Weber geschaffen und ist ein Geschenk der Partnerstadt Braunschweig an Magdeburg. Die Skulptur steht in der dem Querhaus im Süden vorgelagerten Tonsurkapelle.

Lebensbaumkruzifix
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(3) G. Quast, J. Jerratsch, Der Dom zu Magdeburg, Deutscher Kunstverlag GmbH München Berlin, 2004

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Epithaphe im Dom