Wehr- und Stadtmauertürme in Magdeburg


Kiek in de Köken - Guck in die Küche


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"Kiek in de Köken"
Was gibt's denn heute bei Erzbischofs zu essen? Vom ehemaligen Wehrturm an der Stadtmauer sollen die Stadtknechte geradewegs Einblick in die erzbischöfliche Küche gehabt haben - aber vielleicht interessierten sie sich ja (als echte Magdeburger) auch viel mehr für die mollig dralle Küchenmagd...
Wie in mittelalterlichen Städten üblich, war auch die Magdeburger Altstadt von Mauern und Türmen umgeben. Stark befestigte Tore führten einst in die Stadt. Das Stadtwappen nimmt darauf Bezug.
Die (im Südosten der Altstadt gelegene) Pfalz Ottos I. und spätere Domburg wird wahrscheinlich schon im 10. Jahrhundert mit einfachen Stütz- und Futtermauern zur Elbe hin befestigt gewesen sein. In der Folgezeit gab es hier immer wieder Streit zwischen dem Erzbischof bzw. seinem Verwalter und dem Rat der Stadt über das Befestigungsrecht, bis der Rat schließlich die Initiative ergriff und eine Reihe von Türmen an der wenig gesicherten südlichen Domfreiheit und der Elbfront erbauen ließ. Bestanden zwischen den Türmen zunächst nur hölzerne Palisaden, wurden sie bald darauf mit festen Steinmauern verbunden.
Der bekannteste dieser Türme ist der "Kiek in de Köken", den die Magdeburger 1431 so hoch bauten, dass der Blick in den Suppentopf möglich wurde und sich der Erzbischof heftig ärgerte. Erst Jahre später kam es zum Ausgleich.

Wehrturm "Kiek in de Köken"
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Infotafel am Fürstenwall
Im Laufe der Zeit wurden der Turm immer wieder umgestaltet und sein Umfeld verändert. Das heutige Aussehen erhielt der Turm erst in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts, das flache Zeltdach wurde nach 1945 aufgesetzt. Auf alten Stadtansichten erkennt man ein hohes gotische Dach mit Ecktürmchen. Damals reichte die Elbe auch noch bis an den Fuß der Stadtmauer. Erst im 19. Jahrhundert wurde die heutige Uferstraße (Schleinufer) aufgeschüttet, so dass Stadtmauer und Fußpunkt des Turmes jetzt tief im Boden stecken.

Der "Alte Dessauer" (Fürst Leopold I. von Anhalt-Dessau) ließ im 18. Jahrhundert das Gelände zwischen den Stadtmauern (Zwinger) mit Erde verfüllen. Die Magdeburger gehen seitdem hier gern spazieren, der "Fürstenwall" ist  die erste öffentliche Bürgerpromenade in Deutschland.


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Der Turm hinter der Ausfahrt der Möllenvogtei

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Noch ein zweiter von den ehemals sechs Türmen der südlichen Elbfront ist in seiner Grundsubstanz zumindest teilweise erhalten: der Turm hinter der Ausfahrt der Möllenvogtei. Der ungewöhnliche Name bezieht sich auf das letzte noch vorhandene Stadttor (das eigentlich kein richtiges Stadttor sondern eben nur eine Ausfahrt ist). Auch dieser Turm wurde 1430/31 erbaut. Er ist auf dem Domfelsen gegründet. Der Wehrturm hat eine wechselvolle Geschichte: Er diente lange Zeit zur Wasserversorgung (Wasserkunst), später wurde er als Treppenhaus in das Gebäude einer Heil- und Badeanstalt einbezogen. Von der heilenden Kraft des Wassers kündet die (wieder) angebrachte griechische Inschrift. Der 2. Weltkrieg ließ von alledem nur Ruinen zurück und die Turmreste  verfielen zusehends. Dank eines privaten Investors konnte der Turm vor ein paar Jahren doch noch gerettet werden; nach vorbildlicher Sanierung wird er jetzt für eine romantische Ferienwohnung genutzt (www.stadtturm.com).

Turm hinter der Ausfahrt der Möllenvogtei
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Der Tatarenturm

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"Die Tataren kommen!" - Diese Schreckensnachricht muss im Mittelalter wohl vergleichbare Gefühle ausgelöst haben wie im alten Rom der ähnlich lautende, die Vandalen betreffende Ruf. Dabei war die Furcht vor Überfällen nicht nur mit "Tataren" verbunden sondern bezog sich ganz allgemein auf Reitervölker aus dem Osten, mögen es nun Tataren, Mongolen, Hunnen, Ungarn oder andere gewesen sein.    
Jedenfalls wurde 1241 zum Schutz vor Überfällen auf dem Elbvorland an der uralten Stützmauer südöstlich des Magdeburger Domes der mächtige Tatarenturm angebaut. Er wird damals noch mindestens eine Etage höher gewesen sein als heute und hat wohl auch ein hohes Dach getragen. Heute ist die Situation dagegen völlig verändert: der untere Teil ist im Boden verschwunden und gegen 1890 wurde ein breiter Duchgang (der Remtergang) angelegt, um bequem von der Promenade Fürstenwall zum Domgelände zu gelangen. Dafür wurde die Südostseite aufgeschüttet und der Turm wirkt von der Rampe jetzt nur noch wie ein Haus mit Durchfahrt. Man muss schon sehr genau hinschauen, um noch die alten  Bögen oder vermauerten Fenster zu erkennen.

Tatarenturm in Magdeburg
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Der Turm "Cleve" (*)

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Turm "Cleve"
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Turm "Cleve" (markiert), Infotafel
Und noch einen weiteren Turm kann man an der Südostecke der Altstadt "entdecken", dieser ist tatsächlich erst vor kurzem "wiederentdeckt" worden: der Turm "Cleve". Zwar ist die Bezeichnung eigentlich nicht richtig, hat sich aber in Ermangelung einer besseren inzwischen eingebürgert.
Die Magdeburger fürchteten auch im 14. Jahrhundert Überfälle, diesmal von den Hussiten. Die Südseite der Stadt war bis dahin nur unzureichend gesichert, um 1365 wurden deshalb der Stadtgraben verbreitert und eine neue steinerne Stadtmauer mit Wehrgang und Türmen errichtet. An der Ecke südlich des Tatarenturmes, wo die neue Mauer auf die alte Stützmauer traf, errichtete man gleich noch den neuen hohen Wehrturm.

Turm "Cleve" am Bollwerk/Rondell Gebhardt
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Stadtbefestigungen mussten nicht nur erhalten sondern auch ständig modernisiert und den wachsenden Anforderungen angepasst werden. Im 16. Jahrhundert wurde deshalb vor die alte Stadtmauer ein neuer, breiter Hauptwall gelegt, es entstanden außerdem Bollwerke und große Rondelle, um Geschütze aufstellen zu können. Wieder eine Zeit später wurden dann alle hohen Aufbauten niedergelegt, die Türme abgetragen, um keine Ziele zu bieten und um die Altstadt wurde ein riesiger Ring aus Gräben und Wällen, Bastionen, Ravelins, Tenaillen usw. gelegt.
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Infotafel an der Bastion "Cleve"
Magdeburg wurde zur stärksten preußischen Festung ausgebaut. Doch auch diese Anlagen sind inzwischen größtenteils verschwunden, einige wenige wurden in Parks umgewandelt. Und das war ein Glücksumstand: Bei der beabsichtigten Erneuerung eines Weges im sogenannten "Park am Fürstenwall" stieß man plötzlich auf Reste der alten Befestigungsanlagen, die, ab 2000 schrittweise freigelegt, nun seit 2010 zu besichtigen sind. Den Überblick zu behalten ist dabei nicht ganz einfach: neben dem mittelalterlichen Wehrturm findet man die Reste vom Bollwerk "Gebhardt", einen unterirdischen Gang ("Förder") und die Überbauung durch die Bastion "Cleve". Wenn Sie mehr über die Befestigungsanlagen Magdeburgs erfahren möchten, dann lohnen sich der Besuch diverser Seiten bei Wikipedia oder der --> Internetseite der Fachgruppe Festungsanlagen im Kultur- und Heimatverein Magdeburg e. V.

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(*) Einen Turm mit dem Namen "Cleve" hat es nie gegeben. Der Wehrturm hatte wahrscheinlich gar keinen Namen. Er wurde im 16. Jahrhundert in die Anlagen des Bollwerks "Gebhardt" einbezogen, das im 18. Jahrhundert mit der Bastion "Cleve" überbaut wurde. Der obere Turmteil ist rekonstruiert.


Der "Welsche Turm" oder "die Lukasklause"

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"Welscher Turm"
Und noch ein eindrucksvoller Wehrturm aus dem Mittelalter blieb in Magdeburg erhalten: der sogenannte "Welsche Turm", später auch als Lukasklause bezeichnet, heute Sitz der Otto-von-Guericke-Gesellschaft und Museum.

Wenn Sie im Moment aber gerade beim Turm "Cleve", der die Südost-Ecke der Altstadtbefestigung markiert, stehen, dann müssen Sie jetzt ca. 2 km entlang der Elbuferpromenade nach Norden gehen, denn der "Welsche Turm" markiert die Nordost-Ecke der Altstadt.

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"Lukasklause" (links im Bild)
Wann der Turm gebaut wurde, darüber diskutieren (wieder) die Historiker. Die Bezeichnung "Welscher Turm" taucht erstmals 1279 auf. Da kurz vorher in dieser Gegend eine Stadterweiterung stattfand, setzte die stadtgeschichtliche Literatur bisher die Entstehungszeit des Turms auch in diese Zeit. Allerdings ist nicht ganz sicher, ob es sich tatsächlich um unseren Turm handelt. Die zweite Erwähnung eines "Welschen Turms" stammt aus dem Jahr 1440. Für diese Zeit spricht nun, dass die nördliche Stadtmauer um 1430, der neue große Hauptwall im Norden gegen 1470 fertig gestellt sein dürfte und hierzu passt auch ein neuer großer Turm.

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"Welscher Turm"
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"Welscher Turm"
Wie dem auch sei, der Turm ist etwas Besonderes: er ist achteckig, hat etwa 12 Meter Durchmesser und besitzt drei nutzbare Geschosse (zusätzlich noch einen Keller). Mit Sicherheit wird der Turm ursprünglich höher gewesen sein (mit Dach heute ca. 22 Meter) und wahrscheinlich steckt auch noch ein beträchtlicher Mauerteil im Erdreich.

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Kanonenkugel...
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...im Mauerwerk
Die Befestigungsanlagen der Stadt wurden bis ins 19. Jahrhundert immer wieder modernisiert und umgebaut, 1851 wurde unterhalb des Turmes ein Eisenbahntor (teilweise erhalten) errichtet. Bei den Belagerungen der Stadt (1550/1551 und während des Dreißigjährigen Krieges) war der Turm schweren Kampfhandlungen ausgesetzt, die eingemauerten Kanonenkugeln an der Nordseite künden davon. Am 31. Mai 1631 drangen die Belagerer an dieser Stelle und unter teilweiser Umgehung der Befestigungsanlagen (die Elbe führte Niedrigwasser) in die Stadt ein, eroberten und zerstörten Magdeburg.

Lukasklause/Otto-von-Guericke-Zentrum
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Beim späteren Umbau zur Festung, wo die meisten hohen mittelalterlichen Wehr- und Tortürme abgetragen wurden, blieb der "Welsche Turm" zum Glück erhalten, er wurde nun zum "Turm Preußen", benannt nach der hier vorhandenen gleichnamigen Bastion. Danach ging es ziviler zu, sogar künstlerisch: Aus dem Turm Preußen wurde die "Lukasklause", eine nach St. Lukas benannte Künstlervereinigung bekam den alten Wehrturm zu ihrer Nutzung zugesprochen. Die Lukasjünger nutzten ihn auch gleich und ließen 1902/03 den heute noch vorhandenen romantisierenden Anbau errichten. Da sah/sieht der Turm resp. die Lukasklause jetzt aus wie eine kleine Burg. Die Nutzer wechselten bald: Zu DDR-Zeiten erfüllte das Lachen der Kinder eines Kindergartens die Gemäuer, später gab es kurze Zeit sogar mal ein Café, auch Tagungs- und Austellungsräume wurden hier eingerichtet.

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Welscher Turm/Lukasklause/Otto-von-Guericke-Zentrum von der Straßenseite aus gesehen

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Infotafel Lukasklause
Jetzt nutzt die Otto-von-Guericke-Gesellschaft die Baulichkeiten. Im Otto-von-Guericke-Zentrum kann man sich umfassend über Leben und Wirken des großen Magdeburger Naturforschers, Bürgermeisters und Diplomaten informieren. Der (vorläufig) letzte und modern gestaltete Anbau wurde 2009 eröffnet. Dieser Anbau bricht bewusst mit den historischen und historisierenden Architekturstilen. Denn so können auf hervorragende Weise die unterschiedlichen Zeiten verdeutlicht werden: das Mittelalter des 13./15. Jahrhunderts mit dem alten grauen achteckigen Wehrturm, die romantisierende Zeit um 1900 mit dem runden roten Backsteintreppenturm und unsere moderne Gegenwart mit dem viereckigen Turm aus gelbem Sichtbeton... Eine tolle Idee - denn nichts ist ewig, außer der Wandel... Auf der Infotafel am Eingang des Otto-von-Guericke-Zentrums kann man die Geschichte nachlesen.


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zu: Wohntürme