Einführung: Zur Geschichte der Brunnen und Wasserspiele

Der folgende Text (kursiv) ist dem Buch
Walter Kiewert: Der schöne Brunnen
VEB Verlag der Kunst, Dresden, 1956, entnommen.

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Burgbrunnen (im Hof der Burg
Falkenstein, Harz)
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Pumpe (in Semur-en-
Brionnais, Frankreich)
Die Geschichte des Brunnens beginnt mit der Geschichte der Menschheit, deren Existenz an das feuchte Element gebunden ist. Man schuf ihn aus wirtschaftlicher Notwendigkeit, und seine Ursprungsformen haben sich bis auf unsere Tage erhalten. Noch heute wie schon vor undenklichen Zeiten sammelt man in ländlichen Gegenden das Quellwasser in gehöhlten Baumstämmen oder schmucklosen Steinbottichen, schöpft es mit Eimern aus Schächten, fördert es mit hölzernen Hebebäumen zutage. Beschaffenheit des Bodens, Grundwasserspiegel und andere äußere Umstände bestimmen von vornherein die Form: ob Lauf-, ob Schöpf- und Ziehbrunnen oder Pumpe.

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Tivoli (bei Rom): In der antiken Villa des Hadrian

Mit dem Anwachsen der kulturellen Bedürfnisse reifte auch bald im Menschen der Wunsch, seine zweckgebundenen Einrichtungen - Wohnstätte, Kleidung, Hausgerät - und alles andere zu verschönen. Bei diesen Bestrebungen schnitt der Brunnen nicht schlecht ab, denn seine Ausgestaltung verursachte weniger Arbeit und Kosten als die eines Gebäudes. Überdies war er in der Regel Gemeinbesitz und diente allen, wurde öffentlicher Treffpunkt, nicht allein auf dem Lande, sondern auch in den Städten. Kein Wunder, dass gerade er zum besonderen Repräsentationsstück wurde und man seinen Ehrgeiz daran setzte, den Brunnen des Nachbarn an Schönheit zu überbieten.

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Goslar, Marktbrunnen
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Nürnberg "Schöner Brunnen"
Schon die Antike, Hellas wie Rom, besaß eine hohe Brunnenkultur. Das in der späteren christlich-romanischen Epoche angewandte Prinzip der übereinanderliegenden Schalen, von denen die höhere ihren Inhalt jeweils in die darunterliegende, breitere, abgibt, war bereits im Altertum gebräuchlich. Ebenso errichtete man schon damals Fontänen und wasserspendende Statuen.
Während also das romanische Zeitalter lediglich überlieferte Stilformen kultivierte, brachte die Gotik wirklich Neues: Die Horizontale weicht der Vertikalen, die gelassene Ruhe der parallelen Schalen der aufsteilenden Dynamik der Pyramide. Der gotische Laufbrunnen wird zur Turmspitze, zur Kathedrale im kleinen und besitzt ganz wie diese Strebewerk, Fialen, Krabben Kreuzblumenzierat usw.

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Dinkelsbühl
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Rothenburg
Radikalen Wandel der Formen schafft die Renaissance. Die gotische Pyramide verschwindet, und an ihre Stelle tritt die gerade Säule, deren Kapitell meist den Sockel einer Figur bildet. Diese Figur wird gern der antiken Mythologie, dem christlichen Kult, aber auch dem Zeitgeschehen entnommen. Oder man greift zu Tierplastiken: zu Wappenlöwen, Bären, Adlern, Delphinen. Vielfach ist der untere Säulenschaft überdies mit Figurengruppen umgeben. Das dekorative Element findet starke Betonung, Beckenränder und Säule werden mit ornamentalem Zierat reich versehen. Aber nicht allein bei den Laufbrunnen, auch bei den Ziehbrunnen dieses Zeitalters tritt die Tendenz zum Dekorativen deutlich zutage. Bestimmendes Vorbild für Deutschland wird Peter Flötners berühmter Mainzer Marktbrunnen von 1526 mit seinem von drei Pfeilern getragenen schmuckverbrämten Dachbaldachin.

Brunnen der Renaissance
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V. l. n. r.: Zerbst (Markt), Merseburg (Schlosshof), Oschatz (Markt), Siena (Palazzo Chigi-Saracini)

Je weiter die Zeit vorrückt, desto üppiger entfaltet sich der Prunk, die Brunnenbasis wächst ins Breite, selbst der Beckenrand dient als Postament für plastisches Figurenwerk. Die Epoche der Monumentalbrunnen beginnt.

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Neptunbrunnen in Dresden, 2014

Das Barock treibt diese Entwicklung noch weiter voran. Den Architekten interessiert nicht mehr die Einzelheit, das Zierliche, Ziselierte, die Feinheit des Details: Er will bezwingen, hinreißen, durch Wucht und Masse betäuben.
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Rom, Trevibrunnen
Wo bislang ein bescheidener Strahl plätscherte, müssen jetzt breite Wassermengen schäumen, müssen Kaskaden rauschen oder mächtige Fontänen emporschießen. Nirgendwo findet sich das Prinzip theatralisch-pompöser Gestaltung augenscheinlicher verkörpert als in Rom, der brunnenreichsten Stadt der Erde. Hier bleibt das Wasser nicht mehr architekturbelebendes Element, es wird selber Architektur, flüssiger Baustoff und verschmilzt mit der steinernen Plastik zur untrennbaren Einheit. Licht- und Schattenwirkung tritt hinzu, wie bei der riesigen Fontana die Trevi, die eine ganze Palastfront ausfüllt.

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Villa d'Este
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Villa d'Este
In die gleiche Periode fällt das Aufblühen der Gartenwasserkünste, der Parkkaskaden, Teichfontänen, künstlichen Grotten und Wasserorgeln. Italien schenkt der Welt das Wunderwerk der Villa d'Este, Frankreich den Park von Versaille, der dann in ganz Europa imitiert wird.

Große Kaskade in Peterhof
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Im Rokoko weicht das Monumentale, Forciert-Wuchtige der verspielten Grazie, der tändelnden Eleganz und amourösen Leichtigkeit. Man zeigt wiederum Vorliebe für das intime Detail, wenn auch auf ganz andere Art als in der Renaissance. Antike Götter werden ins Schäfergewand gekleidet, Göttinnen tragen die koketten Blumenhüte und Schönheitspflästerchen zärtlicher Liebhaberinnen. An die Stelle des muskelgewaltigen Brunnen-Neptun tritt der schmalhüftige Jüngling Apoll, und die strotzenden Leiber vollbusiger Meerweiber weichen den geschmeidigen Gliedern schlanker, liebesbereiter Nymphen. Die Wasserkünste der Rokokogärten tasten sich in neue Gebiete vor, sie treiben Scherze, Absonderlichkeiten, greifen zum Ulk.
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In Peterhof
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In Peterhof
Das Wasser wird zu wunderlichsten Verrichtungen gezwungen, es muss jetzt flöten, singen, Orgel spielen, Vogelstimmen nachahmen. Von hohen Rundgalerien speien metallene Vögel dünne Wasserstrahlen zur Erde, in moosigen Grotten laden Bänke die schaulustigen Kavaliere zum Sitzen ein. Aber kaum sind diese der Einladung gefolgt, da spritzt ihnen auch schon irgendein grinsender Faun unversehens einen heftigen Strahl ins Gesicht.

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Berlin, Neptunbrunnen
Im neunzehnten Jahrhundert ist die große Zeit der Brunnen vorbei. Das Maschinenzeitalter bringt keinen eigenen Stil mehr hervor, die Erfindungskraft der Architekten hat sich erschöpft, und man verlegt sich aufs Nachahmen. Das sogenannte Gründerzeitalter vollends zeitigt nichts mehr als hohlen Schwulst. (Anmerkung hb: Das kann man heute, ca. 60-65 Jahre nach dem Niederschreiben der vorstehenden Zeilen, durchaus anders sehen; entstanden doch gerade mit den technischen Möglichkeiten der Neuzeit viele interessante und eindrucksvolle Brunnenanlagen!)

Der Brunnen als Kunstwerk folgt eigenen Architekturgesetzen. Von entscheidender Wichtigkeit bleibt seine richtige Aufstellung, die überzeugende Eingliederung in seine räumliche Umrahmung. Während man ihn in Italien mit Vorliebe genau in die Mitte symmetrischer Plätze setzte, bevorzugten die deutschen Architekten der Vergangenheit mit ausgezeichnetem Raumgefühl meistens die Platzränder und malerischen Häuserwinkel, wie in Nürnberg, Rothenburg, Dinkelsbühl, Goslar, Lüneburg usw.
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Teil vom Mozartbrunnen
Dresden, 1945 zerstört,
1991 wiedererrichtet
Der letzte Weltkrieg mit seinen unsagbaren Verheerungen, der unvergleichliche Kunststädte wie Nürnberg, Würzburg, Dresden fast völlig auslöschte, hat dennoch die kostbarsten unserer Brunnen verschont. Wo es anging, hatte man sie abmontiert und an sichere Orte gebracht oder sie doch wenigstens mit Mauerschutz umgeben. Auf diese Weise blieben sie erhalten. Immer noch stehen, inmitten von Trümmern, Nürnbergs Schöner Brunnen, der Marktbrunnen zu Mainz, der Gerechtigkeitsbrunnen auf dem Frankfurter Römerberg, der Ulmer Fischkasten, der Rolandsbrunnen zu Hildesheim, der Würzburger Vierröhrenbrunnen, die drei Renaissancebrunnen der Augsburger Maximilianstraße, und wo ein Schloss vernichtet wurde, wie im Bayreuther Eremitagenpark, spielen gleich nebenan die Fontänen der unversehrten Wasserspiele.

Zitiert (kursiver Text) aus:
Walter Kiewert: Der schöne Brunnen, Einleitung, VEB Verlag der Kunst, Dresden, 1956

  
1. Nachtrag (hb):
Die letzten Zeilen von Walter Kiewert in der Einleitung zu seinem Brunnenbuch stimmen nachdenklich: Denn obwohl die hier genannten zerstörten Städte nach dem Zweiten Weltkrieg inzwischen wieder aufgebaut, die Trümmer beseitigt und auch die Brunnen repariert oder wiedererrichtet wurden, darf niemals in Vergessenheit geraten, dass Hass und Krieg immer und überall Elend, Leid und Zerstörung bedeuten. Wehret den Anfängen!

2. Nachtrag (hb):
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Bautzen, Kornmarkt
Die große Zeit der Brunnen ist durchaus nicht vorbei! Im Gegenteil! Gerade in unserer heutigen Zeit entstehen viele neue Anlagen. Dabei kann es sich sowohl um hohe Fontänen in großzügig bemessenen Becken ebenso handeln wie um Brunnen mit eindeutigem Bezug zu lokaler Geschichte als auch um kleine Anlagen mit nur sehr zarten Wasserstrahlen... Gehen Sie auf Entdeckungsreise! Ich wünsche Ihnen beim Entdecken mindestens ebensoviel Spaß und Freude, wie ich dabei selbst auch immer habe! Ihr H. B.
  

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Links: Wasserspiele am Fernsehturm, Berlin; rechts: König-Heinrich-Brunnen, Quedlinburg

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