Brunnen und Wasserspiele in kleineren und mittleren Städten Sachsens und Sachsen-Anhalts:

Der Märchenbrunnen in Augustusburg (Sachsen)


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Schloss Augustusburg
In einem schönen, fernen Reiche, von welchem die Sage lebt, daß die Sonne in seinen ewig grünen Gärten niemals untergehe, herrschte von Anfang an bis heute die Königin Phantasie. Mit vollen Händen spendete diese seit vielen Jahrhunderten die Fülle des Segens über die Ihrigen und war geliebt, verehrt von allen, die sie kannten. Das Herz der Königin war aber zu groß, als daß sie mit ihren Wohltaten bei ihrem Lande stehen geblieben wäre; sie selbst, im königlichen Schmuck ihrer ewigen Jugend und Schönheit, stieg herab auf die Erde; denn sie hatte gehört, daß dort Menschen wohnen, die ihr Leben in traurigem Ernst, unter Mühe und Arbeit hinbringen. Diesen hatte sie die schönsten Gaben aus ihrem Reiche mitgebracht, und seit die schöne Königin durch die Fluren der Erde gegangen war, waren die Menschen fröhlich bei der Arbeit, heiter in ihrem Ernst.
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Auch ihre Kinder, nicht minder schön und lieblich als die königliche Mutter, sandte sie aus, um die Menschen zu beglücken. Einst kam Märchen, die älteste Tochter der Königin, von der Erde zurück. Die Mutter bemerkte, daß Märchen traurig sei, ja, hier und da wollte ihr bedünken, als ob sie verweinte Augen hätte.
»Was hast du, liebes Märchen«, sprach die Königin zu ihr, »du bist seit deiner Reise so traurig und niedergeschlagen, willst du deiner Mutter nicht anvertrauen, was dir fehlt?«
»Ach, liebe Mutter«, antwortete Märchen, »ich hätte gewiß nicht so lange geschwiegen, wenn ich nicht wüßte, daß mein Kummer auch der deinige ist.«
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»Sprich immer, meine Tochter«, bat die schöne Königin, »der Gram ist ein Stein, der den einzelnen niederdrückt, aber zwei tragen ihn leicht aus dem Wege.«
»Du willst es«, antwortete Märchen, »so höre: Du weißt, wie gerne ich mit den Menschen umgehe, wie ich freudig auch bei dem Ärmsten vor seiner Hütte sitze, um nach der Arbeit ein Stündchen mit ihm zu verplaudern; sie boten mir auch sonst gleich freundlich die Hand zum Gruß, wenn ich kam, und sahen mir lächelnd und zufrieden nach, wenn ich weiterging; aber in diesen Tagen ist es gar nicht mehr so!«
»Armes Märchen!« sprach die Königin und streichelte ihr die Wange, die von einer Träne feucht war, »aber du bildest dir vielleicht dies alles nur ein?«
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»Glaube mir, ich fühle es nur zu gut«, entgegnete Märchen, »sie lieben mich nicht mehr. Überall, wo ich hinkomme, begegnen mir kalte Blicke; nirgends bin ich mehr gern gesehen; selbst die Kinder, die ich doch immer so lieb hatte, lachen über mich und wenden mir altklug den Rücken zu.«
Die Königin stützte die Stirne in die Hand und schwieg sinnend.
»Und woher soll es denn«, fragte die Königin, »kommen, Märchen, daß sich die Leute da unten so geändert haben?«
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»Sieh, die Menschen haben kluge Wächter aufgestellt, die alles, was aus deinem Reich kommt, o Königin Phantasie, mit scharfem Blicke mustern und prüfen. Wenn nun einer kommt, der nicht nach ihrem Sinne ist, so erheben sie ein großes Geschrei, schlagen ihn tot oder verleumden ihn doch so sehr bei den Menschen, die ihnen aufs Wort glauben, daß man gar keine Liebe, kein Fünkchen Zutrauen mehr findet. ... «
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Aber die Königin wäre nicht die Phantasie, wenn sie nicht Rat wüsste... Sie lässt ihre Tochter neu einkleiden und schickt sie zu den Kindern...  Die Zofen flochten dem schönen Mädchen das lange Haar; sie banden ihr goldene Sandalen unter die Füße und hingen ihr dann das Gewand um.
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Das bescheidene Märchen wagte nicht aufzublicken, die Mutter aber betrachtete es mit Wohlgefallen und schloß es in ihre Arme. »Gehe hin«, sprach sie zu der Kleinen, »mein Segen sei mit dir. Und wenn sie dich verachten und höhnen, so kehre zurück zu mir, vielleicht, daß spätere Geschlechter, getreuer der Natur, ihr Herz dir wieder zuwenden.«

Wilhelm Hauff, Märchen-Almanach auf das Jahr 1826, Quelle (kursiver Text): https://www.projekt-gutenberg.org/hauff/alma1826/alma1826.html

Ob die Wächter das Märchen diesmal hindurchlassen? Den Märchenbrunnen jedenfalls findet man am Fuße des Schlosses Augustusburg. Hier ist ein guter Platz zu hören, ob die Geschichte weitergeht.

Märchenbrunnen
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Weitergegangen ist es schließlich auch mit dem Brunnen, worüber die nebenstehende Tafel aufklärt:

Bild "Augustusburg_Maerchenbrunnen2_10.jpg"Der Augustusburger Märchenbrunnen
"Der Dresdener Hans Rudolph Hartmann-MacLean (geb. 20. Mai 1862 in Dresden, gest. 28. Dezember 1946 ebenda), Schüler des Bildhauers Johannes Schilling und späterer Professor an der Sächsischen Akademie der Künste in Dresden, entwarf diesen Kunstbrunnen, der 1907 als Stiftung der Akademie, unterstützt von der königlich-sächsischen Landesregierung, auf dem Hofe des Schlosses Augustusburg errichtet wurde.
Der damalige Augustusburger Schuldirektor P. Heinicke schrieb 1920 in seiner "Geschichte des Schlosses Augustusburg" von einem kunstvollen Denkmal, dessen Figur eine "...träumend nachsinnende Prinzessin mit Krone und langem Haar darstellt aber nicht in den Rahmen seiner Umgebung passt und dort sogar störend wirkt."
Das Märchen
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"Dieser Umstand war sicher auch ein Grund, dass der Brunnen 1933 abgebaut und 1937 auf dem jetzigen Standort wieder errichtet wurde. Lange Jahre verfiel die "Muschel-Minna", wie die Figur von den Augustusburgern liebevoll genannt  wurde, in einen Dornröschenschlaf. 2011 wurde der Brunnen im Rahmen einer von der Stadtverwaltung unterstützten Bürgerinitiative restauriert und sein Umfeld verschönert. Seit dem erfreut sich die Anlage bei den Augustusburger Bürgern und deren Gästen größter Beliebtheit." (Quelle: Infotafel)

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in den Schlosspark Ballenstedt (Harz)