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Extras - Figuren und Reliefs in aller Welt
Die Bernwardstür im Dom zu Hildesheim
"Bernwardstür", Hildesheim
Hildesheim, Dom
Die Bronzetür und die Christussäule im Dom zu Hildesheim gehören zu den großartigsten Schöpfungen der romanischen Bronzegusskunst. Bischof Bernward ließ hier die besten Meister für die Ausgestaltung seiner Kirche arbeiten.
Hildesheim, Dom, Innenansicht
"Hildesheim, eines der wichtigsten Zentren der deutschen Kunst im 10. und 11. Jahrhundert, war Sitz des Bischofs Bernward (gest. 1022). Die Chronisten nannten ihn ein 'Wunder an Gelehrsamkeit', und in der Tat gab es in jener Zeit nur wenige Kirchenfürsten, die mit Bernward verglichen werden können. (...) Die beiden großartigsten Werke der 'Bernwardskunst', die Bronzetüren und die Christussäule, heute beide im Dom, lehnen sich ... eng an spätantike Schöpfungen an. Unter Bernwards sachverständiger und vielleicht sogar fachmännischer Leitung - es ist nicht ausgeschlossen, dass der vielseitige Bischof auch als Silberschmied tätig war - wuchsen die deutschen Meister über sich selbst hinaus. Sie bewältigten Aufgaben, an deren Bewältigung vorher noch niemand zu denken gewagt hatte.
Bischof Bernward, Detail
vom Denkmal, Hildesheim
Mit Bildfolgen geschmückte hölzerne Kirchentüren gehörten außerhalb Deutschlands nicht zu den Seltenheiten. Es darf als sicher vorausgesetzt werden, dass Bernward zwei der berühmtesten Beispiele, die Türen in St. Ambrogio zu Mailand und in St. Sabina zu Rom, mit eigenen Augen gesehen hat. Bronzetüren ohne figürlichen Schmuck waren wiederum in Deutschland sehr beliebt. Auch in diesem Fall gibt es ein Werk, dass Bernward gekannt haben muss: die Erzpforte des alten Mainzer Doms, die Erzbischof Willigis um das Jahr 1000 von einem Meister namens Berengar gießen ließ. Diese Beispiele regten zur Nacheiferung, mehr noch: zu dem Versuch an, das bisher Getrennte, das Erzgussverfahren und die figürliche Darstellung, miteinander zu vereinen. Welch eine Kühnheit gehörte zu solchem Tun! Und wie sicher mussten die Meister sich ihres Könnens fühlen, dass sie es wagten, auch im Technischen vom Herkommen abzuweichen und jeden Flügel in einem Stück zu gießen!" (Georg Piltz)
Gottvater erweckt Adam und
der freut sich des Lebens...
(oder erschafft Gott hier etwa
Eva und Adam ist begeistert?
- s. u.*)
Adam und Eva werden vor-
sichtig zusammengeführt
Der absteigenden Folge links von der Erschaffung des ersten Menschen bis zum Brudermord steht rechts aufsteigend der Heilsplan von der Verkündigung bis zur Überwindung des Todes durch den auferstandenen Christus gegenüber. Die Gegenüberstellung der einzelnen Szenen lässt sich theologisch deuten:
Eva mit ihrem Kind
Maria mit ihrem Kind
So sitzen im dritten Feld von unten die beiden Frauen Eva und Maria jeweils mit ihren Kindern sich gegenüber - Maria ist die neue Eva, die sich Gottes Willen und Heilsplan unterwirft. Im vierten Feld von oben weisen links Adam und Eva beim Verhör durch Gott die Schuld von sich, rechts hingegen nimmt Christus vor Pilatus alle Schuld auf sich... Und ganz oben schließlich hat Christus als "neuer Adam" die "Schuld" des "alten Adam" gesühnt.
Das große Apfelessen - der Sündenfall! (Man
beachte die Schlange rechts)
Darüber hinaus sind die einzelnen Szenen meisterhaft komponiert. "Eines der schönsten (Reliefs auf dem linken Türflügel) ... schildert den Augenblick, in dem Adam und Eva von Gottvater mit der drohenden Frage zur Rede gestellt werden: 'Hast du nicht gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot, du solltest nicht essen?'
Die drei Figuren bewegen sich in einer einzigen Schicht: Links Gottvater, in der Mitte Adam, rechts Eva, zu ihren Füßen die Schlange. (...)
Gott ist sauer:
"Hast du gegessen..?"
Die Kunst der Vergegenwärtigung, der psychologischen Ausdeutung, (hat hier) eine Höhe erreicht, die alles bisher Geleistete weit hinter sich lässt.
"Ich war's nicht - die da hat's mir gesagt!"
Adam wagt nicht einmal mehr, seinen Kopf zu heben: sein Körper krümmt sich, als ob er einen Schlag erwarte. Seine Bewegungen sind müde, schlaff, seine Entschuldigungen - 'Das Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum, und ich aß' - ohne Überzeugungskraft. Man spürt: ein geschlagener Mann.
Gott stellt die beiden zur Rede
Ganz anders Eva: Sie ist durchaus noch nicht besiegt, sie wagt es sogar, energisch zu widersprechen. Sie schlägt ihre Augen nicht nieder, sondern blickt Gottvater im Gegenteil voll ins Gesicht. Sie hat die Bedeutung ihres Tuns noch nicht begriffen, sie wehrt sich gegen die Anschuldigung, Böses getan zu haben. Man könnte auch sagen: Sie fühlt sich nicht als Angeklagte, sondern als Opfer einer Intrige. Ihr linker Arm stößt auf die Schlange herab: 'Die Schlange betrog mich also, dass ich aß.' Sie besteht auf dem, was sie für ihr Recht hält, und sie argumentiert mit naiver Keckheit.
Aber es ist nicht allein das Psychologische, was diese Szenen interessant macht. Ebenso interessant ist die Art und Weise, wie die einzelnen Gestalten zueinander in Beziehung gesetzt worden sind. Der Meister überbrückte die Abstände, welche die Figuren voneinander trennen, mit Hilfe rhythmisch beschwingter Bewegungen. Der Bewegungsstrom geht von der (Linken) Gottvaters aus, die pfeilspitz auf Adam zufährt. Adam leitet ihn mit seinem (rechten) Arm zu Eva, Eva mit ihrem (linken) zur Schlange weiter.(...) Es gibt nicht eine einzige Gebärde, die in Widerspruch zum Thema der Handlung stünde. Jede Form, jede Geste dient der Verdeutlichung des Inhalts.
Was den Körperbau der Gestalten betrifft, so fällt es leicht 'Fehler' zu entdecken: Die Arme sind zu kurz oder zu lang und stets zu dünn, die Leiber dagegen zu massig, die Proportionen verschoben und anderes mehr. Aber solche 'Fehler' kümmerten den Meister nicht. Seine Aufmerksamkeit war auf etwas anderes gerichtet: Sie galt dem Ausdruck und nur ihm." (Georg Piltz)
Das darunter folgende Bild stellt die Vertreibung aus dem Paradies dar. Georg Piltz weiter:
"Und wieder war es die Gestalt der Eva, die den Meister in ganz besonders hohem Maße anzog und fesselte. Adam trollt sich still davon. Aber Eva meldet sich noch einmal zu Wort. Obwohl sie von dem empfangenen Urteil wie betäubt ist, obwohl der Engel, der 'Cherubim mit dem bloßen hauenden Schwert', schon zum Schlage ausholt, wendet sie sich um und schnellt ihren letzten Pfeil ab. Sie will, wenn schon nicht recht, so doch das letzte Wort behalten."
"Und wieder war es die Gestalt der Eva, die den Meister in ganz besonders hohem Maße anzog und fesselte. Adam trollt sich still davon. Aber Eva meldet sich noch einmal zu Wort. Obwohl sie von dem empfangenen Urteil wie betäubt ist, obwohl der Engel, der 'Cherubim mit dem bloßen hauenden Schwert', schon zum Schlage ausholt, wendet sie sich um und schnellt ihren letzten Pfeil ab. Sie will, wenn schon nicht recht, so doch das letzte Wort behalten."
Und ab sofort ist es mit den paradiesischen Zuständen für Adam und Eva vorbei: Adam muss jetzt hart arbeiten, um im Schweiße seines Angesichts seine kleine Familie zu ernähren, während Eva sich derweil um ihr erstes Kind kümmert. Bemerkenswert sind auch die als Löwenköpfe gestalteten Türklopfer oder Türzieher.
Abel
Kain und Abel
Eva bekam zwei Kinder - Kain und Abel. Der eine wird Ackerbauer, der andere ein Viehzüchter. Beide opfern Gott, doch nur das Tieropfer wird wohlwollend angenommen, das Getreide hingegen verschmäht. Der Rest der Geschichte ist bekannt: Kain wird darüber wütend und hadert mit Gott und der Welt, schließlich erschlägt er seinen Bruder Abel... Hatte Gott das vorausgesehen?
Wo ist dein Bruder? - Erschlagen...
Bei dem untersten Relief des linken Türflügels mit Kains Brudermord vereinigte der Meister zwei Szenen, "den eigentlichen Mord und die Entdeckung der Tat, in einem Feld (...). Ein an modernen Kunstwerken geschulter Betrachter mag eine solche Vereinigung zeitlich getrennter Vorgänge widersinnig finden. Die Menschen des Mittelalters dachten anders: Für sie war der Sinnzusammenhang entscheidend, nicht die zeitliche Aufeinanderfolge. Der Mord selbst geschieht in der rechten Hälfte des Feldes. Kain hat bereits zugeschlagen, sein Bruder Abel stürzt zu Boden. Nun steht er da, die Keule halb erhoben und prüft mit eiskaltem Blick, ob noch ein zweiter Schlag nötig ist. Nicht eine einzige seiner Bewegungen verrät Reue oder auch nur Betroffenheit. Die Tat war von langer Hand vorbereitet, und der Mörder handelte überlegt.
Kain hat Abel erschlagen
Großartig auch der zusammenbrechende Abel: Er fällt wie vom Blitzschlag getroffen, wie ein Opfertier, dass nicht weiß, warum es sterben muss. Die zweite Szene (links im Bild) ist ähnlich knapp und treffend dargestellt: Die Hand Gottes stößt auf den Mörder herab; der schrickt zusammen und zieht den Mantel fester um sich, als ob ihm friere. Aber seine Hand lässt die Waffe, die ihn verrät, nicht los, und in seinem Antlitz spiegeln sich verschiedenartige Regungen: Hass, Angst, Ohnmacht und auch noch ein Rest von Trotz." (Georg Piltz)
---------------------------(kursive Textstellen) zitiert aus:
Georg Piltz: Deutsche Bildhauerkunst, Verlag Neues Leben, Berlin 1962, S. 39 ff.
---------------------------Georg Piltz: Deutsche Bildhauerkunst, Verlag Neues Leben, Berlin 1962, S. 39 ff.
War die bisherige chronologische Reihenfolge auf der linken Seiten von oben nach unten, so verläuft rechts die Erzählrichtung jetzt von unten nach oben. Gegenüber dem Brudermord unten links befindet sich rechts die Szene, bei der der Jungfrau Maria die Empfängnis und Geburt ihres Sohnes verkündet wird. Das ist aber auch gleichzeitig die Ankündigung der Erlösung: Denn die "Schuld", die "Erbsünde", die Adam und Eva durch ihren Ungehorsam und (in der christlichen Theologie) alle nachfolgenden Menschen auf sich geladen haben, wird gesühnt durch den Opfertod des menschgewordenen Gottes, durch Christus. Dabei korrespondieren die linken und rechten Bildfelder miteinander wie folgt (nach wikipedia):
Links: Altes Testament | Rechts: Neues Testament | Präfiguration/typologische Deutung | ||
(1) Gott erschafft/erweckt Adam, den ersten Menschen, zum Leben; Adam freut sich des Lebens (Anm. s. u. *) | (16) Der auferstandene Christus (vor Magdalena: "Rühr mich nicht an") und Himmelfahrt |
Adam erwacht und lebt,
(s. Anmerkung *) unten) Christus steht auf, lebt und fährt gen Himmel, - Anfang und Ende - | ||
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(2) Adam und Eva kommen zusammen | (15) drei Frauen kommen zum (leeren) Grab Christi (auf dem ein Engel sitzt) | Die Menschen gehören zusammen so wie Christus zu den Menschen (die Frauen sind Bräute im übertragenenen Sinne) gehört | ||
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(3) Sündenfall | (14) Kreuzigung | mit dem Sündenfall beginnt die Schuld, mit der Kreuzigung wird sie gesühnt | ||
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(4) Adam und Eva werden verhört und verurteilt | (13) Christus wird verhört und verurteilt | während Adam und Eva die Schuld von sich weisen, nimmt Christus die Schuld an; der Drache/der Teufel ist jedesmal dabei | ||
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(5) Vertreibung aus dem Paradies | (12) Darbringung im Tempel | Adam und Eva werden hinausgeworfen, Jesus wird in den Tempel ge- bracht/vorgestellt und so wird die Rückkehr ins Paradies wieder möglich werden... (muss man aber dran glauben...) | ||
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(6) Erden- und Familien- leben, Eva mit Kind | (11) Maria mit Kind, Anbetung der Könige | Maria ist die neue Eva, die eine gleicht durch ihren Gehorsam den Ungehorsam der anderen wieder aus, nebenbei be- merkt: das eine Kind wird später zum Mörder, das andere zum Erlöser werden | ||
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(7) Kain und Abel opfern, das Opfer des Lammes wird angenommen | (10) Christi Geburt | das Lamm ist Christus selbst, der geopfert und angenommen wird | ||
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(8) Kain erschlägt Abel | (9) Mariä Verkündigung | das Blut des getöteten Abel weist auf Christus, den menschgewordenen Gott |
(Wikipedia)
Wenn Sie mehr Details zur Geschichte der Tür und zum verwendeten Bronzegussverfahren (hier: Wachsausschmelzverfahren) wissen möchten, dann lesen Sie bitte bei ->Wikipedia weiter. Hier finden sie auch eine umfangreiche Literaturliste.
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*) Anmerkung: Die Szene des linken oberen Feldes (1) wird üblicherweise als (i) die Erschaffung Adams und die anschließende Lobpreisung Gottes durch Adam gedeutet. Für den mittelalterlichen Künstler stellte die Darstellung zeitlich aufeinderfolgender Ereignisse nebeneinander kein Problem dar. Denkbar ist aber auch, dass (ii) Adam Gottvater um eine Gefährtin bittet und Gott dem liegenden Adam eine Rippe aus der Seite entnimmt, um daraus Eva zu formen. Schaut man sich die liegende Figur genauer an (iii), dann könnte diese mit ihren zart angedeuteten Brüsten aber auch Eva darstellen, die Gottvater gerade zur Freude Adams geschaffen hat... (Bei dem Faible des Künstlers für Eva ist diese Deutung wohl die schönste - Entscheiden Sie selbst!) Der spannenden Erschaffung Evas würden dann sowohl der höchst interessiert zuschauende Adam als auch ein Engel beiwohnen. Vielleicht ist es sogar derselbe Engel, der später beide aus dem Paradies vertreiben wird? In der letzten Deutungsvariante (iii) würde sich außerdem das theologische Konzept der Tür wunderbar weiter offenbaren: Die Erzählung beginnt links oben mit der Erschaffung Evas und endet links unten mit dem ersten Tod eines Menschen (Abel). Der rechte Türflügel (von unten nach oben zu lesen) beginnt mit Maria, der "neuen Eva", und endet mit dem auferstandenen Christus, dem ersten Menschen, der den Tod besiegt hat. Was für eine Verheißung!
(Vielen Dank an G. Scheier für die Hinweise!)
(Vielen Dank an G. Scheier für die Hinweise!)
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