Extras - Figuren und Reliefs in aller Welt

Taufbecken und Kanzeln in der Toskana - Teil 1

Dass den Bildhauern in der Toskana römische Kunstwerke nicht unbekannt waren, kann man sehr schön an manchen Taufbecken und Kanzeln in Pisa, Lucca oder Siena erkennen. Ihre Reliefs erinnern oft an die Darstellungen auf römischen Sarkophagen. Schauen wir uns einige Beispiele in der zeitlichen Reihenfolge ihrer Entstehung an:

Lucca: Das Taufbecken in San Frediano, um 1150

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In Lucca zeugen mehrere romanischen Kirchen von der einstigen Bedeutung der Stadt. So soll der später heilig gesprochene Bischof Fredianus im 6. Jahrhundert neben dem Dom auch weitere Kirchen gegründet haben, der Bau der heute nach ihm benannten Kirche stammt allerdings aus romanischer Zeit und wurde von 1118 bis 1147 errichtet.

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Im rechten Seitenbereich von San Frediano befindet sich die Taufkapelle mit dem romanischen Taufbecken. Dieses Taufbecken gehört mit zu den herausragenden romanischen Kunstwerken der Toskana.
Das Taufbecken mit seinen reich dekorierten Seitenwänden steht auf einer runden profilierten Basis. Die Mittelsäule trägt eine Art Brunnenschale, auf der sich über sechs kleinen Säulen eine Dachbekrönung erhebt. (Das Ganze erinnert tatsächlich stark an einen Brunnen.)
Das Taufbecken war im 18. Jahrhundert abgebrochen worden. Zum Glück blieben die Teile erhalten, sie wurden 1952 wieder zusammengesetzt.


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An dem Taufbecken haben mehrere Bildhauer gearbeitet, einer ist durch seine Signatur am Beckenrand als Meister Roberto namentlich bekannt. Von ihm stammen die Darstellungen von Christus und die umgebenden Heiligen. Ein anderer Meister schuf die vielfigurigen Szenen am Becken, von denen einige als Moses-Episoden interpretiert werden, darunter z. B. die Übergabe der Gesetztestafeln oder der Zug durch das Rote Meer. (Aber auch andere Deutungen sind denkbar.)

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Pisa: Die Kanzel des Nicola Pisano im Baptisterium, 1260

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Baptisterium
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In der Mitte des 11. Jahrhundert begann Pisas Blütezeit, die etwa 250 Jahre andauerte. In dieser Epoche wurden der Dom, der Campanile, das Baptisterium und der Campo Santo errichtet - zu Recht trägt dieses weitläufige Ensemble den Namen "Platz der Wunder". 1153 wurde mit dem Bau des Baptisteriums begonnen, die Taufkirche ersetzte vermutlich einen älteren Vorgängerbau. Im Innern des gewaltigen  Baues bilden Pfeiler und Säulenpaare alternierend einen Umgang, in dessen Mitte sich das achteckige Taufbecken über drei Stufen erhebt.
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Daneben steht die Kanzel von Nicola Pisano. Sie ist "ein Werk ersten Ranges, ein Meilenstein in der Entwicklung der toskanischen Kunst" (Klaus Zimmermanns). Nicola Pisano arbeitete bereits am Baptisterium (er hatte die Bauleitung übernommen) und konnte die Kanzel 1259/60 fertigstellen.
Das Neue an dieser Kanzel ist einmal, dass sie jetzt frei im Raum steht, sich nicht mehr an eine Wand oder an einen Wandpfeiler anlehnt und so selbst zu einer architektonischen Skulptur wird. Darüber hinaus wird sie zum Bildträger: Die Darstellung der Geschichten aus dem neuen Testament lassen die Predigten anschaulich werden und können ihnen so den nötigen Nachdruck verleihen.

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Die Kanzel ist sechseckig, sechs Säulen mit Blattkapitellen tragen Rundbögen mit Dreipassmaßwerk. Jede zweite Säule stützt sich auf einen antik anmutenden Löwen. Der eigentliche Kanzelkorb wird durch eine Mittelsäule gestützt, deren Basis mit Menschen und Tierdarstellungen versehen ist.

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Das gotische Dreipassmaßwerk tritt hier in Italien erstmalig auf. In den Zwickeln der Rundbögen werden Propheten und Evangelisten dargestellt, an den Ecken sind es die Kardinaltugenden, ergänzt um die Figur des Johannes des Täufers. Erstaunlicherweise stellt Nicola Pisano die Tugend Stärke ähnlich wie eine antike Herkulesfigur dar.
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Die Säulenbündel an den Ecken rahmen die fünf Relieffelder (das sechste bleibt als Durchgang frei), die Szenen aus dem Leben Jesu sowie das Jüngste Gericht beinhalten. Im ersten Feld werden simultan die Verkündigung, das Neugeborene als straffes Wickelkind und die Waschung des kleinen Jesus gezeigt. Die figurenreiche Darstellung erinnert stark an antike Sarkophag-Vorbilder, die (halb-) liegende Maria mit dem Schleier über dem Haupt ähnelt hier mehr einer antiken Priesterin als der jungfräulichen Himmelkönigin!

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Auch im zweiten Feld - Anbetung der Könige - nimmt Maria die Huldigungen als thronende antike Priesterin entgegen. Ihr Kind aber streckt erwartungsvoll seine Hände dem ersten Geschenk entgegen.

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Das dritte Relief zeigt detailreich - schwer fallen die Gewänder in Falten herab - die Darbringung im Tempel, und natürlich hat Josef auch die beiden vorgeschriebenen Tauben dabei!

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Stilistisch sind das vierte und das fünfte Relieffeld im Vergleich zu den vorhergehenden anders gestaltet - hier gab es keine antiken Vorlagen. Die Kreuzigungsszene wird dramatisch zugespitzt, Marias Körper knickt vor Schmerz fast im rechten Winkel ab. Der Gekreuzigte selbst verkörpert den sogenannten "Dreinageltypus", eine Darstellung, die ihren Ursprung in der französischen Gotik hat.
Hochdramatisch ist auch die Darstellung des Jüngsten Gerichtes: Christus als Weltenrichter weist den Verdammten zu seiner Linken unmissverständlich ihren Platz zu. Und die Dämonen stehen hier schon bereit...
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Nicola Pisana hatte mit der Kanzel im Baptisterium zu Pisa ein weithin bewundertes Werk geschaffen, so dass fünf Jahre später der Dombaumeister von Siena mit ihm einen Vertrag über eine neue Kanzel für den Dom in Siena abschloss. Diese neue Kanzel für Siena wird er mit zwei Schülern, später kommt noch sein Sohn Giovanni dazu, erschaffen.
Schauen wir also jetzt, wie Nicola Pisano die Aufgabe in Siena löste:
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Siena: Die Kanzel des Nicola Pisano ( + Gehilfen) im Dom von Siena, 1266-1268

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Siena MUSS man einfach gesehen haben: Man fühlt man sich in den engen hohen Gassen wie um Jahrhunderte zurückversetzt, doch wenn sich der Blick plötzlich auf die phantastische Fassade des Domes weitet, bekommt man vielleicht eine leise Ahnung, wie den Menschen im Mittelalter angesichts dieses Wunderwerkes zumute gewesen sein könnte. Um 1200 wurde mit dem Dombau begonnen, die Arbeiten zogen sich das ganze 13. Jahrhundert hin. 1316 wurde der Chor verlängert, denn es kam die Idee auf, dem Dom eine noch viel gewaltigere Gestalt zu geben. Bautechnische Probleme zwangen allerdings zur Aufgabe der hochfliegenden Pläne.

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Der Dom ist im Innern prächtig ausgestattet. Aus den Unterlagen ist bekannt, dass Nicola Pisano 1265 den Auftrag für die Kanzel bekam; ihm zur Seite standen Arnolfo di Cambio, Donato und Lapo di Ricevitu sowie sein Sohn Giovanni Pisano. Ab 1284 leitete Giovanni Pisano die Arbeiten an der Fassade. Die Kanzel ist diesmal achteckig, sonst aber der im Baptisterium in Pisa sehr ähnlich. Von den Säulen stehen ebenfalls alternierend die Hälfte auf Löwen. Die Säulen tragen über den Kapitellen Figuren, die die Tugenden darstellen; dazwischen befinden sich Rundbögen mit Dreipassmaßwerk.

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Am Sockel der Mittelsäule werden diesmal die sieben freien Künste und die Philosophie dargestellt:

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Auf den Kämpferplatten der Kapitelle begegnen uns wieder die Tugenden, in den Zwickeln die Evangelisten und Proheten:

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Die sieben Relieffelder der Kanzel zeigen eine ähnliche Folge der Szenen wie in Pisa. Auch hier sehen wir im ersten Marmorrelief Maria auf ihrem Lager sich von der Geburt erholend, wir sehen Jesus als Wickelkind und wie der Kleine gewaschen wird. Die Figuren sind in dieser Szene zwar ebenfalls dichtgedrängt, aber sie zeigen nicht mehr diese antike steife Würde wie im ersten Feld der Pisaner Kanzel. Entsprechendes gilt für die folgenden Reliefs. Den Bildhauern gelingt es mit ihren figurenreichen Kompositionen die dramatischen Geschichten aus dem Leben Jesu anschaulich darzustellen. Schauen wir uns die weiteren Szenen an:

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Im folgenden Relieffeld kommen die heiligen drei Könige angeritten, um dem neugeborenen Kind zu huldigen - der erste König küsst sogar dem kleinen Jesus die Füße. Im nächsten Feld sehen wir die links die Darbringung (die Vorstellung des Neugeborenen) im Tempel, Josef hat natürlich wieder die beiden dafür erforderlichen Tauben dabei. Auf der rechten Seite des Reliefs spitzt sich die Lage zu, im Hintergrund steht König Herodes, höchste Zeit also die Flucht zu ergreifen. Die kleine Familie macht sich auf den Weg nach Ägypten, Maria sitzt (im Vordergrund) mit ihrem Kind auf dem Esel.
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Denn jetzt, im nächsten Relief, bricht die Katastrophe herein: im Auftrag Herodes' wurden alle kleinen Kinder ermordet! Der Bethlehemitische Kindermord ist eine der schrecklichsten Szenen und eigentlich unerklärlich. Wieso mussten denn die unschuldigen Kinder sterben? Kann ein gütiger Gott so etwas zulassen? Das Relief gibt darauf keine Antwort, aber es zeigt die Brutalität, mit der die Kinder von den Müttern weggerissen werden. Im Hintergrund (links oben, mit Szepter) ist König Herodes zu erkennen.
Das nächste Feld zeigt die Kreuzigung. Es ist heute nicht mehr möglich, die Anteile des Nicola Pisano und die der einzelnen Gehilfen an den Reliefs zuzuordnen. Doch vergleichen Sie einmal die beiden Kreuzigungsszenen (und hier insbesondere die Darstellung Marias) von der Kanzel im Baptisterium Pisa mit der vom Dom von Siena. Keine 10 Jahre liegen dazwischen.

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An der Kanzel in Siena ist auch (erstmals) Giovanni Pisano, der Sohn von Meister Nicolas beteiligt. Der Engel links vom Bethlehemitischen Kindermord soll zum Beispiel von seiner Hand stammen. Die Eckfiguren und vorrangig wohl auch die Kreuzigungsszene schreiben die Kunsthistoriker Nicolas zu. An der Figurengruppe rechts von der Kreuzigung soll dagegen Arnolfo di Cambio, der später ebenfalls ein bedeutender Künstler werden sollte, gearbeitet haben.
Das jüngste Gericht wird über zwei Relieffelder dargestellt, die Figur des Weltenrichters befindet sich diesmal an der Eckkante und trennt die Seligen (rechts von Christus) und die Verdammten (links von Christus).

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Die Kanzel steht nicht mehr in der romanisch-antikisierenden Tradition wie im Baptisterium Pisa, in Siena werden die Skulpturen lebensechter, die Reliefs könnten Szenen aus dem wirklichen Leben darstellen. Diese Kanzel ist eines der großen Meisterwerke der toskanischen Bildhauerkunst.

Vater Nicola und Sohn Giovanni Pisano gelten als die bedeutendsten Bildhauer in Italien zu ihrer Zeit.
Schauen wir also auf der nächsten Seite bei Giovanni Pisano in Pistoia vorbei:

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zum Teil 2: Die Kanzeln des Giovanni Pisano in Pistoia und Pisa


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Quellen und weiterführende Literatur:
K. Zimmermanns: Toscana, DuMont Kunstreiseführer, DuMont Reiseverlag, Ostfildern 2011
G. Duby, J.-L Daval (Hrsg): Skulptur, Von der Antike bis zur Gegenwart, 2. Teil, Mittelalter, Verlag Taschen, Köln 2013
Kunst und Geschichte der Toskana, bonechi, Florenz 2010
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